In der Ahnenforschung geben die Kirchenbücher und ab 1810 auch die Standesämter zum Glück Auskunft darüber, in welchen Beruf der jeweilige Ahnherr innehatte. D.h. wenn man gelernt hat, die Kurrentschrift zu lesen;-) Aber die Berufe sind interessanter, als ich dachte. In meinen Reihen befindet sich kein Adeliger, von einer verqueren Linie Karls des Großen ganz zu schweigen.
Galerie der kleinen Leute
Nein, in meiner Ahnengalerie tummelten sich die kleinen Leute. Und in dem Fall gab es in direkter Linie auch Schäfer. Mein vierfacher Urgroßvater (also der Vater von Großvater von Großvater:–)) war einer davon. So wie sein Sohn und sein Enkel nach ihm. Danach gab es keine Schäfer mehr in der Familie, doch das ist eine andere Geschichte.
Wanderschäfer aus Gerresheim
Mein Urahn jedenfalls weidete seine Tier u.a. in der Umgebung von Gerresheim, der Heimatort bei Düsseldorf (Die Eingemeindung nach Düsseldorf erfolgte erst 1908).
Aber da Schäfer immer auf der Suche nach Futterplätzen für ihre Tiere waren, wenn diese die Weiden kahl gefressen hatten, konnte es sein, dass sich besagter Urgroßvater in einem Radius von 20-30 Kilometer (zu Fuß wohlgemerkt) wenn nicht gar mehr, mit seinen Schafen in alle Richtungen ausdehnen. Gut gerüstet mit einem Stock mit Fang-Haken, Stock mit Schaufel ließ er seine Schafe die wiesen der Bauern abweiden. Er lebte mit den Tieren, untersuchte ihren Zustand auf Parasiten, beschnitt ihre Klauen und sorgte durch seinen verlängerten Arm, dem Hütehund, dass sie ihm nicht aus der Reihe tanzten.
Knochenjob statt Idylle
Aus heutiger Sicht ein idyllisches Bild. Aber auch ein Knochenjob. Ständig unterwegs und der Witterung ausgesetzt, gehörte der Schäfer schon damals zu denjenigen, denen kein Reichtum beschieden war. Zu meinem Erstaunen stellte ich allerdings fest, dass ein Schäfer innerhalb eines Dorfes früher auf eine der untersten Stufen der Gemeinschaft stand.
Wie kann das sein? Für mich war das Bild eines Hirten schon allein durch den biblischen Psalm 27 „Der Herr ist mein Hirte“ positiv besetzt.
Nicht ehrbar
Doch schon im Mittelalter galten Schäfer „unehrlich“. Das war keine Frage der Moral, sondern im Sinne von „nicht ehrbar“, also nicht standesgemäß. Zwar gehörten Totengräber und Scharfrichter in die absolut unterste Kategorie, also eine Art No Go; keiner wollte sich mit ihnen abgeben und sie durften auch nur innerhalb ihres Standes heiraten.
Aber warum das Ansehen eines Schäfers ebenso wie den des Müllers, Gerbers, Baders oder des Leinweber nicht hoch im Kurs stand, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Was hat es also damit auf sich?
Ein Mann ohne Waffe ist kein Mann
Unehrbar galten im Mittelalter zum einen die Berufe, die während eine Krieges zu Hause bleiben mussten, um die Basis zu sichern. Der Schäfer sorgte für Fleisch und Wolle und konnte im Kriegsfall seine Herde nicht verlassen.
Ruf des Einzelgängers
Obwohl seine Arbeit unverzichtbar galt und dem Wohle der Gemeinschaft diente, sah das „ehrbare Handwerk“ diese Berufsgattung nicht als gleichwertig sondern als „unsauber“ an und hinderte diese am Aufstieg innerhalb der städtischen Gemeinschaft.
Außerdem „wohnte“ der Schäfer außerhalb des Dorflebens, verstand sich auf Kräuter, Heilkunde und das Wetter. Der Argwohn der Dorfbewohner, dass dieser Schäfer auch sonst über mysteriöse Fähigkeiten verfügte und seltsame Kenntnisse besaß, von denen den sie nichts wussten, hatte hier ihren Ursprung.
Trotz Armut neun Kinder
Mein vierfacher Urgroßvater wird schon berufsmäßig ein, von großer Armut geprägter, Einzelgänger gewesen sein. Allerdings einer, dem es trotz seines geringen Standes und Auskommens gelungen war, neun von elf Kindern groß zu ziehen. Angesichts der hohe Kindersterblichkeit eine enorme Leistung!
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