Antiquariat als Dating-Plattform

Flaschenpost als Matches zwischen Buch und Mensch

Bücher werden verkauft, Lieblingsbücher dagegen werden gegeben. Oder sie wechseln, ähnlich wieder der Elbenring bei Frodo, auf seltsame Weise in die Hand eines neuen Besitzers. Herzensbücher, so scheint es, von einem Herzen in das andere über. Wird eine Privatbibliothek aufgelöst, so erleidet so manche Lieblingslektüre des Verstorbenen ein grausames Schicksal und landet oftmals im Altpapier. (Wer mag schon noch Uta Danella oder Konsalik lesen und den vom Bücherbund angepriesenen Günter Grass mit seinem Butt? Den hat, bis auf wenige Ausnahmen, sowieso keiner gelesen.) Andere Bücher stopft man in die »offenen Bücherschränke« und hofft, dass sich einer ihnen erbarmt. Wieder andere landen in Bananenkisten auf dem Flohmarkt.

Alte Bücher auf dem Trödel, ©pixabay

Nur eine warme Hand gibt

Ein kluger Besitzer hingegen weiß, wann es Zeit ist, loszulassen. Oder anders ausgedrückt: Nur eine warme Hand gibt. Er setzt sich mit einem Antiquariat seines Vertrauens in Verbindung und überlässt seine literarischen Lieblinge in temporärer, zuweilen auch ewiger Pflege. Nichts ist schöner, als wenn Menschen aus ihrem reichhaltigen Leben ein Buch, was ihnen in ihrem reichhaltigen Leben viel bedeutete hat, einem Antiquariat übergeben.

Message in a Bottle, ©pixabay

Die Flaschenpost in den Büchern

Der Anspruch eines Antiquariats ist, dass das Lieblingsbuch eines Loslassenden soll sich mit deinem Lesenden verbinden. Für Isabell Vallejo, die Autorin des Buches Papyrus, ist mitdem Kauf eines (erprobten) Buches zugleich mit dem einer geheimen Flaschenpost verbunden. Die Übergabe eines Buches in den Händen eines anderen ist auch immer ein »Kann-Angebot«, frei nach dem Motto: Nimmst du es an, oder nicht? Du hast die Wahl!

Besitzer eines geistigen Kleinods. Werner Fernengel in seinem Antiquariat Mutabor, © Marion Rissart

Der Buchhändler als Heiratsvermittler?

Der Buchhändler besitzt eine Art die Lizenz zur Paar-, wenn nicht gar Heiratsvermittlung. Ganz schön hoher Anspruch, diesem heiklen Auftrag gerecht zu werden. Sensibilität ist daher angesagt. Eine Herzensübergabe kann klappen, muss es aber nicht.

Manchen Menschen graust es davor, etwas zu kaufen, wovon sie nicht wissen, ob es sie weiterbringt. Andere hingegen haben vollstes Vertrauen auf bereits gelesene Bücher. Sie sind magisch angezogen von ihnen, weil sie die mit Eselsohren an den Seiten, mit Bleistift unterstrichenen Zeilen, an der Vorderseite gekritzelten Namen des Vorgängers als eine Riege vom Leben begabten, literarisch erfahrene Mentoren. Ähnlich wie der von Hermann Hesse beschriebene Novalis, der seine Liebe zu den Büchern erfreut. In Hesse Geschichte »Der Novalis – aus den Papieren eines Altmodischen« beschreibt der Autor, wie Novalis sich nicht nur an Inhalt, Ausstrahlung und Seltenheit erfreut, sondern auch weil sie bereits vom Vorgänger geprüft und sich bewährt hatten.

Hermann_Hesse_1926, ©Gret Widmann

Antiquarisches Parship am Prenzlauer Berg

P.S. Regelmäßig in Berlin besuche ich mein antiquarisches Parship. Mutabor, so der Name des Antiquariats, befindet sich ausgerechnet im Prenzlauer Berg. Der Besitz, Herr Fernengel, besitzt nicht nur ein Herz für Bücher (die er liebevoll restauriert), sondern auch für Fotografie. Hier erstand ich einen Bildband mit Fotos von dem Fotografen Robert Capa, das nicht mehr aufgelegt wird. Capa, der mit dem in Life veröffentlichten Foto des gefallenen Soldaten während spanischen Bürgerkrieges weltberühmt wurde, wird auch oft mit dem Worten zitiert: »Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran«

Eingang zur Besinnung, ©Marion Rissart

Kriegsreporter Robert Capa und die Klugheit

Ich fand allerdings in seiner Biographie noch einen Satz, der mich angesichts seines Jobs als Kriegsreporter einen sehr berührte. Vor seinem letzten (und tödlichen) Einsatz nach Japan und Indochina schrieb er, der kein großer Briefeschreiber war, seinen Freunden einige Zeilen. Sein letzter Brief an die Schauspielerin Suzy Marquis endet mit den Worten »Lebe klug« Ich finde, eine besondere Form der Flaschenpost.

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