Neulich fiel einer Freundin und mir ein Album ihres Großvaters in die Hände. Kein Fotoalbum, wie zuerst gedacht, sondern ein kartonierter Aktendeckel, in dem sich sorgfältig eingeheftete Ansichtskarten befanden. Dieser Großvater Walter Löffler (Jahrgang 1900) hatte es sich nicht nehmen lassen, jede erdenkliche Postkarte zu sammeln. Nicht nur, die er erhalten hat. Sondern auch diejenigen, die er an seine Liebste schickte. Und wenn es auch nur von einem Stadtteil zum anderen war. (Gab ja auch noch kaum Telefon)
Handy Bilder sind die neuen Postkarten
Heute ist ja bekanntlich alles anders. Die Stimmung beim 35. Sonnenuntergang an der Milchbar von Norderney, gekoppelt mit Cafe del Mar Musik, die aus den Lautsprechern dröhnt, einzufangen und weiter zu leiten, gelingt heute sekundenschnell via Messengerdienst. Doch jederzeit erzählen zu können (müssen), was wir gerade tun, ist keine Erfindung der Neuzeit. Früher haben wir Postkarten gekauft, geschrieben und verschickt. Aber das ist viel zu mühsam geworden. Und zudem Old School. Heute zücken wir stattdessen das Handy Richtung untergehende Sonne, wie der Exorzist vor dem Kreuz.
Postkarten sind hinterlassene Duftmarken
Die Sehnsucht nach dem Echten, Authentischen treibt uns um. Den Sonnenuntergang am Urlaubsort, täglich von einer Horde Fremder aufs Handy gebannt, wurde früher auf Fotos gehalten und schließlich im Fotolabor entwickelt. Die Fotos klebte man/frau dann in einem Album ein, versah sie mit Text und Jahreszahlen. Die Alben wurden hervorgeholt, um sich zu erinnern. Oder noch besser: Man fand jemanden, der sich miterinnern wollte.


Sehnsuchtsorte wie Kögraben und Düsseldorfer Rheinuferpromenade
Noch einige Jahrzehnte früher, gab es für das gemeine Volk noch gar keine Fotoapparate. Geschweige denn Telefone. Stattdessen kaufte es Postkarten. Die es an Daheimgebliebene verschickte, um einfach mal Hallo zu sagen. Die Adressaten staunten nicht nur, wo der Absender überall gewesen war. Sondern dass er sich es leisten konnte, Sightseeing zu betreiben. Der Empfänger erfuhr damit eine Menge aus der Welt außerhalb seines Stadtteils. Über Düsseldorfs Kögraben zum Beispiel. Oder der Radschläger- Düsseldorfs Wahrzeichen – was es damit auf sich hatte. Und war (zeitversetzt) mit dabei, wie der Absender an der Rheinuferpromenade flanierte.
Kölner Impressionen aus dem Urlaub
Manchmal schmuggelten sich auch Kölner Eindrücke hinein, etwa vom Dom oder Severinstor. So wie Großvater Löffler. Man sollte nicht meinen, dass der Düsseldorfer nicht über seine Grenzen hinausging;-)
Postkarte von Franz Löffler an seinen Sohn aus Köln 1913 – Bildrechte Astrid Dietrich Ansichten aus Köln nach Düsseldorf mit Blick auf den kölner Neumarkt 1913 – Bildrechte Astrid Dietrich
Glücklich ist der, der sein Glück zu teilen vermag
Ziel war (ist) es, den momentanen Status seiner Zufriedenheit kund zu tun. Denn glücklich ist nur der, der es zu teilen vermag. Und es wie eine Duftmarke an spezielle Empfänger platziert. Deswegen verschickte man die Postkarten, so wie wir heute die WhatsApp.
Bei dem Adressaten spielen sich sogleich mehrere Filme ab, wenn er das Handyfoto mit dem Sonnenuntergang erhält. Von „Da will ich auch hin“ über zu einem hollywoodreifen Abspann von Brandung, Gischt, salzhaltige Luft und lauwarme Sommernächte bis zu „ich hatte letzten Urlaub einen noch besseren Sundowner“. Da die Abendstimmung aber nicht unbedingt vom Hocker reißt, weil alleweil zu haben ist, platzieren wir heute die nötigen Monumente in die romantische Stimmung hinein. Orte wie Machu Picchu, Angkor Vat oder operettenhafte Gardasee-Kulisse. So wie früher auf der Postkarte.
Postkarten sind köstliche Pralinen…
Vor hundert Jahren war es für Otto Normalo der Zoo, Zirkus, Ausflugslokale oder Tanztees. m Gegensatz zu heute sammelten viele die Postkarten in einer Zigarrenkiste. Die uns beim nächsten Aufräumen wie eine köstliche Pralinenschachtel in die Hände fallen.
Radschläger in Düsseldorf 1915 – Bildrechte Astrid Dietrich Bitte zum Tanztee 1920 – Bildrechte Astrid Dietrich Bitte zum Tanztee 1920 – Bildrechte Astrid Dietrich Diakonie Kaiserswerth 1919 – Bildrechte Astrid Dietrich Griechischer Garten in Düssldorf 1904 – Bildrechte Astrid Dietrich
… oder reif für die Tonne?
Dank der „Retros-WhatsApp“ wissen wir jetzt besser als jedes Handy Bild, wie unsere Landeshauptstadt aussah. Oder aussehen würde. Vielleicht sollte ich meine Handybilder auch auf Postkarten ziehen. Und sie an verschiedene Leute verschicken. Ob der Adressat versteht, dass ich durch mich an ihn denke, ist ungewiss. Vielleicht ist es für ihn auch ungewohnt, eine Schreibschrift zu lesen. Oder denkt, es sei Gefahr in Verzug ;-). Was auch immer. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass es oft noch mehr Müll für die Altpapiertonne hat.

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