Herr, es ist Zeit – warum Babys früher im Sommer starben

„Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß.“ Mit diesem Anfang seines Gedichtes „Herbsttag“ preist Rainer Maria Rilke die Wonnen des Sommers, der langsam in den Herbst übergeht. In den Tagen, wo die letzten vollen Früchte reifen und die Süße der Trauben den schweren Wein veredeln.

Sommer – Zeit der Infekte

Der Sommer war aber vor 200 Jahren nicht nur die Zeit der Reife und der Wonnen, sondern auch Zeit der Infekte. Und es traf vornehmlich die Säuglinge. Die häufigste Todesursache lautete Magen-Darm-Katarrh, oftmals früher auch unter dem Begriff „Auszehrung“ abgefasst oder „Convulsion“, die immer dann genannt wurde, wenn die Kinder ihre Nahrung nicht vertrugen.

Stillen verhindert Säuglingssterben

Eine Faustegel, die heute noch gilt, besagte: Wo gestillt wurde, war die Säuglingssterblichkeit gering.

Aber – und das ist eine erstaunliche Erkenntnis, die schon die die damaligen Studien herausfanden: Es wurde in manchen Regionen kaum noch gestillt. Gerade im süddeutschen ländlichen Raum wie Pfalz oder Unterfranken. Anfang des 20. Jahrhunderts fanden Studien heraus, dass drei Viertel aller Mütter ihre Säuglinge nicht stillten.  Stattdessen fütterten sie ihre Säuglinge  mit einem eingedickten Milchbrei, den viele Babys nicht vertrugen. In manchen Gegenden wurde sogar auf Kuhmilch gänzlich verzichtet, brauchte man diese doch zur Käsezubereitung. Das kleine Kind hingegen erhielt eine mit zuckerversetzte Mehlpampe.

Stillen störte bei der Arbeit

Warum vielen Frauen das Stillen lästig war, liegt auch im auferlegten Arbeitsrhythmus. Das Leben eines Bauers duldete keine Sentimentalitäten und Schonung, schon gar nicht bei den Frauen. Oftmals arbeiten sie bis zur Niederkunft auf dem Feld, gebaren manchmal ihre Kinder im Gebüsch, brachten die Neugeborenen nach Hause, um dann nach drei Tagen wieder auf dem Feld zu stehen. 

Mangelernährung und schlechte Hygiene

Auch in Berlin wollte man im 19. Jahrhundert kein Säugling sein; dort lag in den 60er Jahren die Quote der Säuglingssterblichkeit bei 31, 5 Prozent. Denn auch in der Stadt gab es für die Frauen, die meist als Dienstmädchen, im Handel oder in der Fabrik arbeiten, keine Pause nach der Geburt. Auch die Lebensbedingungen in den Städten wie verschmutzte Luft in engen Gassen,  führte zum Mangel an Vitamin D., wenn nicht schon durch die Mangelernährung oder Hunger der kleine Körper geschwächt war. Infektionskrankheiten wie Masern, Scharlach, Keuchhusten und Diphterie trieben ihr Unwesen und auch die Pocken traten, trotz Impfung, immer wieder verheerend auf den Plan, eher gesagt in den geschwächten Kinderkörper.

Der Tod eines Babys war Wink des Schicksals

Da der Tod allgegenwärtig war, lehnte man sich nicht dagegen auf. Die oben genannten Infektionskrankheiten wurden zwar argwöhnisch betrachtet, aber als Wink des Schicksals verstanden. Da eine Familie in der Regel mehrere Kinder hatte, nahm sie den Tod eines Säuglings als gottgegeben hin.  Hatte man das erste Kind noch mit Freude empfangen, so ebbte sie nach einer gewissen Anzahl ab und nahm den Tod eines Nachkömmlings als nicht abzuwendende Fügung in Kauf.  Niemand wäre auf die Idee gekommen, für einen kleinen Wurm den Arzt zu rufen.

Aufklärung ist das A und O

Anfang des 20. Jahrhundert ging man energisch gegen das Säuglingssterben vor.  Durch Verbesserung der hygienischen Verhältnisse vor.

Für die Kleinsten hatte die Aufklärung eine segenreiche Wirkung; Stillberatungen wurden ins Leben gerufen, Milchhöfe eingerichtet, in der Weimarer Republik Gesetze zum Schutz der Familien erlassen. Und die Entwicklung zum der Kinder und der Familie gibt uns Recht. Lag die Säuglingssterblichkeit bei 32 Prozent, so ist heute bei einem (!!!) Prozent.

Dass die meisten Kinder heute erwachsen werden können (dürfen), bedeutet Fortschritt. Dass wir älter werden können (dürfen) ebenfalls. Auf globale Sicht und bei stetig anwachsender Weltbevölkerung dagegen eine Katastrophe;-) und stetes, und wie es scheint, ein unauflösbares Dilemma. Ein weites Feld eben.

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