Die Kritiker überschlugen sich förmlich, registrierten noch so kleines Accessoire ihres Outfits. Bei ihrer Ankunft am 16. Mai 1960 auf dem Düsseldorfer Flughafen trug Marlene Dietrich einen weißen Topfhut zu einem schlichten grauen Schneiderkostüm. Die Zigarette lässig in der rechten weißbehandschuhten Hand haltend, beantwortete sie auf der anschließenden Pressekonferenz in einem Düsseldorfer Hotel die Fragen der Journalisten. Ihre Stimme klang müde und angeraut. Wie immer mit preußischer Haltung, bemühte sie sich nichts anmerken zu lassen. Dennoch war ihr der Kummer über die schlechte Presse und der schlechten Deutschland-Tournee anzusehen. Der Vorwurf der zu hohen Eintrittspreises (sage und schreibe 100 Mark) schob sie den Agenten und Veranstalter zu.
Marlene, der Star und Vaterlandsverräterin
Aber das war es nicht allein. Wir schrieben das Jahr 1960 und an der Diva schieden sich noch immer die deutschen Geister. Ihre Haltung zu Nazideutschland und ihren Verbleib in den USA plus amerikanischer Staatsbürgerschaft blieben bei der Bevölkerung unvergessen. Positiv wie negativ. Pappschilder mit „Marlene, go home“ hingen vor dem Berliner Titania Palast in der Luft. Sie geriet in Stockholm mit aggressiven Bildreportern, die den Auftritt mit ihrem Geklicke störten, aneinander („Entweder arbeiten Sie hier oder ich! Ich muss hier arbeiten für mein Geld!“) und musste sich in Düsseldorf von einem 18-jährigen Mädchen ins Gesicht spucken und sich „Verräterin“ nennen lassen. Der unsägliche Vorfall ereignete sich just in dem Moment, als die Dietrich das Hotel verließ, um zu ihrer eigenen Vorstellung zu eilen. Zuvor hatten sich noch ganz andere Szenen abgespielt. Fans skandierten vor ihrem Hotel laut „Marlene“. Die Diva ließ sich nicht lange bitten, zeigte sich am Fenster und ließ durch einen Pagen die von ihr unterschriebenen Autogrammbücher zurückbringen.
Kühl und gelassen auf Spuckattacke
Die Dietrich reagierte kühl und gelassen auf die Spuckgeschichte und erklärte auf Anfrage, sie bedaure nur, dass sie kurz vor dem Auftritt keine Zeit mehr gefunden hätte, mit dem verwirrten Mädchen zu reden. Auf jeden Fall habe sie ihr längst verziehen. Marlene stellte nur lapidar fest, „dass die Jugend von heute leicht erregbar ist.“

Unter Schwanenpelz glitzert das hautenge Strasskleid
Danach konzentrierte sie sich auf das, was sie am besten konnte. Wie schon bei den anderen Konzerten zuvor trug sie auch hier ihr berühmtes strassübersätes, hautenges Kleid und darüber ihren mittlerweile legendären Pelzmantel, bestehend aus den Brustdaunen von 300 Schwänen. Mit einem Lächeln und nach einer Verbeugung versetzte sie das Düsseldorfer Publikum mit einem „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ in die verruchte Weimarer Zeit des „Blauen Engels“. Scheinbar mühelos zog die Diva die Rheinländer in den Bann durch drei Jahrzehnte ihrer autobiographischen Chansons. Alles wirbelte durcheinander. Gassenhauer, „wer wird denn weinen“, Sentimentales, „frag nicht, warum ich weine…“, Freches, „wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht“ und Ordinäres „boys in the backroom“. Nichts war vor Marlene sicher.
Längere Beine als die knackfrischen Dinger
Später verschwand sie schnell hinter der Bühne, um sich in Frack und Zylinder zwischen ihren Revue-Girls einzureihen. Sie warf „ihre Beine zehn Zentimeter höher als die jungen, knackfrischen Dinger“, erkannte der Reporter von Düsseldorfer Nachrichten per Augenmaß. Das Publikum dankte es ihr mit halbstündigen Ovationen und forderte „Wiederkommen“.

Die Dietrich ist keine Masochistin
Doch für Marlene sollte es ihre letzte Deutschland-Tournee gewesen sein. Zwar gab sie noch kurze Gastspiele wie etwa 1962 auf der Unicef-Gala in Düsseldorf. Doch sie und Deutschland in ihrem Leben nicht mehr wirklich zueinander. Marlene fasste ihr schwieriges Verhältnis zu ihrem Vaterland zusammen: „Als ich nach Amerika ging, waren se mir beese; als ich nicht wiederkam, waren se mir beese; und als ich jetzt doch wiederkam, waren se mir beese. . .“ Und fügte an anderer Stelle hinzu, sie sei schließlich keine Masochistin.
Sie singt in Israel als erste Künstlerin auf Deutsch
Und doch: Nach ihrer Deutschland–Tournee reiste die Dietrich im Juni nach Israel. Sie weigerte sich, ihre Lieder ausschließlich auf Englisch oder Französisch zu singen. Damals ein riskantes Unterfangen, durften doch zwei Wochen zuvor bei einem Konzert Gustav-Mahler-Lieder nicht in deutscher Sprache vorgetragen werden. Doch die „Vaterlandsverräterin“ erklärte, Deutsch sei nicht die Sprache von Herrn Hitler, sondern von Goethe und Heinrich Heine. Das Jerusalemer Publikum war offenbar der gleichen Meinung. Es jubelte, weinte und verlangte die Lieder aus der Weimarer Zeit zu hören. Als sie auf vielfachem Wunsch auch noch den Kriegsschlager „Lilli Marleen“ anstimmte, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr. Zwar zweifelte der Satiriker Ephraim Kishon die Zurechnungsfähigkeit seiner Landsleute an und kommentierte deren Verblendung bissig mit: „ein Nazi-Lied von einer deutschen Sängerin – auf allgemeines Verlangen“. Aber Liebe benebelt ja bekanntlich das Gehirn und verliebte Menschen interessieren sich nicht für ihr Geschwätz von vorgestern. Schon gar nicht bei Marlene Dietrich.
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