Bei dem Begriff „Boudoir“ sind der Phantasie üblicherweise keinerlei Grenzen gesetzt. Doch keine Angst (oder Enttäuschung?)! Hier geht es nicht um die Ausführungen des Marquis de Sade, der darin ein lasterhaftes Separee der Damenwelt sah mit der Empfehlung zu sado-masochistischen Praktiken.
Schmollwinkel statt Lasterhöhle
Sondern „Boudoir“ bedeutet so viel wie „maulen“ oder „schmollen“. Böse gesprochen war das Boudoir ein Schmollwinkel, in dem die Frauen ihre Launen ausleben konnten, um dann wieder in heitere Stimmung sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Später oft als Ankleidezimmer verwechselt, war es für die Herrin des Hauses oft die einzige Möglichkeit, sich „privat“ zu machen oder (weibliche) Gäste zu empfangen, während ihre Gatten sich im Herren- oder Billardzimmer auf eine Zigarre zu einem Plausch versammelten.
Marie Antoinettes Separee
Ein Boudoir gab es nicht nur in Schlössern, wie z.B. der komplett vergoldete Raum der Marie Antoinettes in Fontainebleu , mit grüngoldener Wandfüllung und einem Kamin aus weißen Marmor. Auch im österreichischen Parlament befindet sich einem Boudoir gegenüber des Empfang Salons, wo einst die Präsidentinnen des Stadtschulrats in elegantem Ambiente miteinander saßen.
Keine Erotik sondern Unsichtbarkeit
Von den erotischen Phantastereien einmal abgesehen bedeutete dieser Rückzugsraum für Damen die Möglichkeit, die Last der Repräsentation fallen zu lassen. In diesen Räumen waren die Frauen „unsichtbar“ vom Rest der Welt. Sie wichen damit den herrschenden Etiketten, überall Stellung zu bewahren, aus und ergaben sich in den Rest Privatheit, der ihnen blieb.
Allzeit bereite Repräsentation
In der Aristokratie war Repräsentation zu jedem Zeitpunkt angesagt. Ob sie Kinder gebären, Verbandszeug für den Kriegsfall zupfen, auf die Jagd gehen oder huldvoll ihre Mildtätigkeit als Landesmutter unter Beweis stellen – diese Aktivitäten waren keinesfalls vergnügliche Steckenpferde, sondern demonstrierten ihren Sonderstatus, der sie vom gewöhnlichen Volk unterschied.
Stimmungsaufheller mit Klosterfrau Melissengeist
Später gab es in den 50ern des 20. Jahrhunderts für das gemeine Volk ein in Drogerien und Apotheken ein verkäufliches Gesöff mit dem klingenden Namen „Frauengold“. Ähnlich wie das spätere „Klosterfrau Melissengeist“ sollte es bei Menstruationsbeschwerden und weiteren indifferenten vornehmlich weiblichen Anfällen angewendet werden. Das Getränk war eine zynische Umschreibung für Stimmungsaufheller und mit 79 Prozent Alkohol eher eine Leber-Bombe und ein Fall bei Dauereinnahme für den Arzt bzw. der Therapiegruppe.
Was hat das alles mit Harry Potter zu tun?
In dem Harry-Potter Band „Kammer des Schreckens“ gibt es die Figur „maulende Myrte“. Ein pickeliges und unglückliches Teenager, der als Zufluchtsort das Mädchenklo wählt, und später dazu verdammt ist, als Geist auf ewig im Abflussrohr dieser Latrine zu hocken.
Nur auf dem Lokus herrscht Privatsphäre
Statt wie die „maulende Myrte“ zurück ins Abflussrohr zu flutschen, gab es für die adeligen Damen die Möglichkeit, in den Bauch des Schlosses zu „verschwinden“, bis ihre Stimmungstiefs überwunden waren.
Harry Potters Myrte Kind des isolierten Glücks
Ob sie dadurch wirklich privat waren? Lakaien und Hofschranzen lauerten schließlich überall.
Und was ist mit der maulenden Myrte? Hatte sich der Lokus als Rückzugsort etwa für immer gegen sie gewandt? Ich würde sagen: NEIN!
Denn im Gegensatz zu den Damen war sie ein Kind des isolierten Glücks! Sie konnte sicher sein, dass kein Mensch freiwillig zu ihr in die Kanalisation herabsteigen würde. IHR Privatleben war in der Kloake vor jeden Paparazzo gefeit.
Sehr witzig und interessant
Toller Vergleich und sehr witzig.