„Der süße Liebling“ – Eine Liebe aus Düsseldorf im 1. Weltkrieg

Schön ist, wenn wir Erinnerungen in den Händen halten und betrachten können. Manchmal der Hobbyforscher Glück: eine Freundin zeigte mir die Feldpostkarte ihres Großvaters  aus dem 1. Weltkrieg. Auf der Vorderseite mit seinem Konterfei (in Uniform), auf der Rückseite ein Brief an seine Frau und Mutter seiner vier überlebenden Kinder. Und nennt sie in seiner Anrede „ mein  süßer Liebling“.

Liebe gedeiht überall

Diese Titulierung straft alle jene, die behaupten, es habe damals keine Liebe gegen. Und  es ist nicht nur eine Liebe während des Krieges. Sondern diese Beziehung entstand in den engen Gassen jenes Stadtteils am Düsseldorfer Hafen, zwischen Kolonialwarenladen, Schule und Schneiderei. Denn beide stammten aus dem gleichen Umfeld und haben sich über die Mauern der Hinterhöfe aufwachsen sehen.

Auf der Rückseite schreibt er an seine Frau und nennt sie „mein süßer Liebling“ @Bildrechte Karin Schulta

Schuster, bleib bei deinen Leisten

Über mehrere Generationen heiratete man denjenigen, den man kannte. Das änderte sich erst nach dem 2. Weltkrieg. Denn Urlaube gab es nicht und Reisen nur, wenn sie notwendig waren. Also blieb man bei seinen Leisten wie ein Schuster und nutzte die Gemeinschaft als starken Schutzwall gegen die Welt von außen.

Kolonialwarenladen Anfang des 20. Jahrhunderts im Düsseldorfer Hafen Brückenstrasse 22; @ Bildrechte Karin Schulta

Zwischen Kolonialwarenladen und Schneiderei

Die Eltern des Soldaten-Großvaters besaßen einen Kolonialwarenladen, die der Großmutter eine Schneiderei. Mit achtzehn Kindern hatte das Schneider-Ehepaar alle Hände voll zu tun, die hungrigen Mäuler zu stopfen. Der Vater musste nicht nur tagsüber arbeiten, damit es reichte. Sondern auch in der Nacht, wo die älteren Geschwister abwechselnd die Petroleumlampe hielten, bis der Vater die Kleider für die Haute Volee fertig genäht hatte. Und wehe, wenn eines der Kinder vor Müdigkeit umfiel!

Geld eintreiben bei der Haute Volee

Der damals kleinen Großmutter kam die Aufgabe des Inkassounternehmens zu. Auf kurzen Beinchen und mit einem Geschwisterchen an der Hand (mehr Wirkung! ) stand sie vor dem Dienstboteneingang der Kundschaft und fragte mit dünner Stimme nach, ob die Rechnung schon bezahlt wurde. Und der rührende Anblick des kindlichen Geldeintreibers bewog so manchen, endlich den Geldbeutel zu ziehen.

Als dann die erwachsene Großmutter ihren Mann aus dem Tante-Emma-Laden heiratete, schien auch dieses Leben von Mühsal, Arbeit, Krieg geprägt zu sein.  Von den sieben Kindern überlebten nur vier. Und wie es damals üblich war, wurde über den Verlust nie gesprochen. Und doch war und blieb diese Frau für ihren Mann  immer  das, weshalb er sie geheiratet hatte: Der „süße Liebling.“

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